Die Alte Plüsche in Mittweida schreibt Geschichte
Vom Weben zur Oldtimerrestaurierung und Eventlocation „Alte Plüsche“
Beim ersten Hinsehen kommt durchaus die Frage auf, wieso eine ansehnliche, ja durchaus stattlich schöne Fabrikanlage wie die an der Burgstädter Straße in Mittweida in die Kategorie eines unbequemen Denkmals gelangt.
Aber leider sind alte Fabrikgebäude wie dieses nicht einfach umzunutzen, da in unseren Zeiten der ökonomischen Prämissen teure vertikale Warentransporte von Etage zu Etage einfach nicht mehr toleriert werden. Damit sind für mehretagige Hallen nach dem Ende der früheren Verwendung so schwer neue Interessenten zu finden, zumal in den meisten Fällen ein erheblicher Reparaturstau bemerkbar ist. Daher sind Industriedenkmale durchaus unbequem und bei langjährigen Leerstand nicht selten vom Abbruch bedroht. So auch das Gebäude an der Ecke Burgstädter zur Heinrich-Heine–Straße. Ursprünglich war die aus Klinkerziegeln bestehende Sheddachhalle mit dem straßenseitigen Treppenhaus ein nach 1895 ausgeführter Erweiterungsbau der am Lauf des Altmittweidaer Baches stadtwärts gelegenen mechanischen Kratzenfabrik. Die im Volksmund nur „Kratze“ genannte Fabrik 1867 von Lois Wilhelm Decker zum dortigen Standort verlagert und 1872 als Aktiengesellschaft weitergeführt worden. Dort stellte man bis zum ersten Weltkrieg die für die zahlreichen sächsischen Textilmaschinen so dringend benötigten Fertigungswerkzeuge her. In den Jahrzehnten bis zum ersten Weltkrieg rühmte sich das Unternehmen „…das größte Etablissement der Branche auf dem Kontinent…“ zu sein, was allerdings die Insolvenz im Jahr 1914 nicht verhinderte. Nach der Herauslösung des 1895er Erweiterungsbaus im Konkursverfahren 1915 gelang nach der Neufirmierung die Weiterführung der Produktion.
1915 erwarb Wilhelm Stache den Erweiterungsbau aus der Konkursmasse der Kratzenfabrik und verlagerte 1918 die Produktionsstätte seiner Möbelstoffweberei von Chemnitz nach Mittweida. Das Unternehmen wurde 1922 in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt.
Seit dem Jahr 1925 schließt sich ein hangseitiger Querbau an die Sheddachhalle an. 1928 erfolgte ein letzter großer Anbau an der Heinrich-Heine-Straße durch das Einfügen der zweietagigen Produktionshalle. Die Fassade zur Burgstädter Straße ist in ihrer Gestaltung den aufwändigen Gliederungen und Formen des Baus von 1875 angeglichen, während die Front der Heinrich-Heine-Straße den Formenkanon der zwanziger Jahre durchaus erkennen lässt.
Nach dem zweiten Weltkrieg wurde die Fabrik ab 1946 treuhändisch verwaltet und 1953 verstaatlicht. Der Betrieb gehörte bis zur Einstellung der Produktion 1990 zum VEB Möbelstoff- und Plüschweberei Hohenstein-Ernstthal, Werk 2 Karl-Marx-Stadt, Produktionsstätte 2.04 Mittweida.
Nach der Rückübertragung an den Enkel des Firmengründers im Jahr 2000 begann die Suche nach einer geeigneten Nutzung des Fabrikgebäudes.
Im Gegensatz zu den Restgebäuden der benachbarten Kratzenfabrik, die mittlerweile abgetragen sind, blieb der Stacheschen Weberei dieses Schicksal erspart. Mit Gerald Nestler erkannte 2015 ein Investor das Potential der Anlage, zumal er deren Raumstruktur für seinen Betrieb als geeignet, ja sogar ideal ansehen konnte. Es wird hier nun kein Plüsch mehr gewebt, sondern es werden KFZ-Veteranen restauriert. Dazu benötigt man viel Hinterland und ein ansehnliches Äußeres, um den Interessenten und Kunden ein stimmiges Gesamterlebnis bieten zu können.
Solche Konzepte sind in verschiedenen Großstädten bereits mehrfach verwirklicht worden. Natürlich ist der Markt in einer mittelgroßen Stadt ein anderer als in Dresden, Hamburg, München oder Berlin. Aber bei kluger Marktanalyse bieten sich Nischen. Eine solche hat Gerald Nestler mit der Restaurierung von Fahrzeugen der ehemaligen DDR-Produktion gefunden. So erlebt mancher IFA F9 Trabant oder Wartburg ein zweites Leben und gelangt in die Hände glücklicher Eigentümer. Die durchaus visionären, aber nur schrittweise zu verwirklichenden Ziele zur denkmalgerechten Restaurierung und Nutzung der Fabrikgebäude sind ein leider seltener, aber dafür umso glücklicher Fall einer Symbiose von Verwendungsabsicht und Gegebenheiten. Möge der geschäftliche Erfolg des Restaurierungsbetriebes Nestler dem Projekt ein sehr langes Leben erhalten und damit dem für Mittweida so wichtigen, platzprägenden Gebäude die Zukunft sichern.
Kontakt
Oldtimerservice Nestler
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